Vortrag: Lieferkettengesetz im Mittelpunkt

Die Lieferkettengesetzgebung stand im Mittelpunkt eines Vortrags bei der GWÖ-Regionalgruppe Leipzig-Halle. Symbolfoto: canva

Unter dem Titel „Lieferkettengesetz(e) – Rechtliche Rahmenbedingungen unternehmerischer Verantwortung“ hielt unser Eine Welt-Fachpromotor für Wirtschaft & Entwicklung, Christopher Isensee, am 05.04.2023 einen Vortrag bei der GWÖ-Regionalgruppe Leipzig-Halle.

Die Gruppe engagiert sich dafür, den Ansatz Gemeinwohl-Ökonomie/Economy for the Common Goods zu stärken, weiterzuentwickeln und regional zu verankern. Als Vision wurde ausgerufen, die Region Leipzig-Halle zu einem an den zentralen Werten Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung ausgerichteten gemeinwohlorientierten Wirtschaftsraum für ein nachhaltiges, gutes Leben aller Lebewesen zu machen.

Bei der Abendveranstaltung lag der Fokus auf dem aktuellen Stand der Lieferkettengesetzgebung. In Deutschland gilt seit dem 01.01.2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Die Gesetzgebung war notwendig geworden, da es in unserer global vernetzten Wirtschaft nach wie vor zu Menschenrechtsverstößen und Umweltbelastungen kommt. Aspekte wie Kinder- und Zwangsarbeit, eine ungesund hohe Arbeitsbelastung, Arbeitssicherheit, Arbeitsschutz, ungeregelte Arbeitszeit oder ganz allgemein Ausbeutung werden entlang der oftmals verzweigten Lieferketten vielfach verletzt, genauso etwa wie Umweltgüter wie Luft, Wasser, Biodiversität oder das globale Klima. In Rahmen der Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte setzte Deutschland zunächst auf freiwillige Unternehmensverantwortung. Nachdem man auf diese Weise jedoch die ausgerufenen Ziele verfehlte, wurde eine Gesetzesverschärfung beschlossen. Damit folgt man hierzulande einem Trend, denn auch andere Staaten (vgl. etwa die USA mit dem Dodd-Franc-Act 2013 oder das französische Loi de vigilance 2017) sind bemüht darum, den Problemen in den Tiefen der Lieferketten beizukommen.

Momentan sind in Deutschland etwa 600 bis 900 Unternehmen direkt betroffen, denn das Gesetz greift erst ab einer Arbeiternehmer:innen-Zahl von 3000. Ab dem 01.01.2024 sind schließlich auch Firmen ab 1000 Arbeiternehmer:innen inkludiert, wobei man davon ausgeht, dass dann 3000 bis 5000 Unternehmen betroffen sein werden. Doch Achtung: Es ist ein Schneeball-Effekt zu erwarten, wenn die großen Betriebe die Anforderungen an ihre Zulieferer weitergeben. Das können auch kleine und mittelständische Unternehmen betroffen sein.

Die vom Gesetz betroffenen Unternehmen müssen eine Reihe von Sorgfaltspflichten erfüllen. Dazu gehört die Einrichtung eines Risikomanagements, die Festlegung betriebsinterner Zuständigkeiten, die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen, die Abgabe einer Grundsatzerklärung, die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern, gegebenenfalls das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen, die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens sowie Dokumentation und Berichterstattung. Unternehmen sollen darauf hinwirken, Risiken in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt vorzubeugen, sie zu minimieren und zu beenden. Allerdings müssen die Unternehmen nicht garantieren, dass sie Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße verhindern, vielmehr geht es um ein Bemühen.

Gegen diese abgeschwächte Festlegung richtet sich zivilgesellschaftliche Kritik, ebenso gegen den Umstand, dass nur das Ende der Lieferkette wirklich adressiert wird oder dass das Gesetz keine zivilrechtliche Haftung (aber dafür Prozessstandschaft) vorsieht. Von Seiten der Firmen wird angemerkt, dass eine lückenlose Nachverfolgbarkeit entlang der Lieferketten technisch gesehen aufgrund der hohen Komplexität nicht möglich ist. Allenthalben kritisch zu sehen sind die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe innerhalb des Gesetzestextes.

Ferner wurde in Leipzig die aktuelle Lage rund um das Verfahren zur Schaffung eines Europäischen Lieferkettengesetzes erörtert. Auch die EU befasst sich bereits länger mit der Problematik und erließ in der Vergangenheit einzelne Verordnungen bzw. Richtlinien, etwa im Bereich illegaler Holzeinschlag. Nach einem Vorstoß des EU-Justizkommissar Didier Reynders und breiter parlamentarischer Rückendeckung zur Schaffung eines strikteren Gesetzes hat die Europäische Kommission im Februar 2022 einen abgeschwächten Vorschlag vorgelegt, wobei es im Dezember 2022 zum Beschluss durch den EU-Ministerrat kam. Nun wird für Mitte 2023 eine Entscheidung des Europäischen Parlaments erwartet.

Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass Unternehmen betroffen sind, die mindestens 500 Beschäftigte und einen Mindestumsatz von 150 Millionen Euro haben oder aber mindestens 250 Beschäftigte und einen Mindestumsatz von 40 Millionen Euro, wenn sie in bestimmten ressourcenintensiven     Branchen aktiv sind. Insofern wäre das Europäische Lieferkettengesetz weitreichender als das deutsche, obgleich trotzdem weniger als 1% aller Unternehmen betroffen wären. Laut Entwurf soll das Gesetz entlang der gesamten Lieferkette gelten, aber nur für „etablierte Geschäftsbeziehungen“. Dafür werden hier klimabezogene Sorgfaltspflichten einbezogen. Auch enthält der Entwurf zivilrechtliche Haftungsregeln.

Insgesamt wird gerade stark um die Ausgestaltung der Rechtsnorm gerungen. Dass intensives Lobbying geschieht, belegt auch ein Zitat von Anna Cavazzini, EU-Abgeordnete Bündnis90/Die Grünen: „Ich würde sagen, dass es im Moment eins der Hauptthemen für die Lobby-Organisationen ist. […] Mit diesem Gesetz können wir große Fortschritte machen beim Umweltschutz und den Menschenrechten. Deswegen sind die Lobby-Angriffe besorgniserregend.“ (Quelle: Correctiv, Verheerende Lieferketten, 24.01.2023:  https://correctiv.org/aktuelles/wirtschaft/2023/01/24/verheerende-lieferketten/)

Aspekte wie Kinder- und Zwangsarbeit, eine ungesund hohe Arbeitsbelastung und Arbeitsschutz werden entlang der oftmals verzweigten Lieferketten vielfach verletzt. Symbolfoto: canva

Auf Seiten der Zivilgesellschaft setzt sich Initiative Lieferkettengesetz, bestehend aus 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen (z. B. Amnesty International, Human Rights Watch, DGB, IG Metall, ver.di, Oxfam, Kindernothilfe, Misereor, Brot für die Welt, BUND, Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, …) dafür ein, den Entwurf nicht weiter zu verwässern. Sie organisierte daher eine Petition, gerichtet an Bundeskanzler Olaf Scholz, die 90.000 Unterschriften erreichte. Durch vielfältige Aktionen auf der Straße und im Netz versucht die Initiative, ihren Anliegen Rückendeckung zu verleihen. Konkret wird gefordert:

  1. Risikobasierte Sorgfaltspflicht für die gesamte Wertschöpfungskette!
  2. Verantwortung beim Unternehmen verankern – keine Schlupflöcher schaffen!
  3. Chancengleichheit vor Gericht – Beweislast nicht allein den Betroffenen aufbürden!
  4. Sorgfaltspflichten auch für den Finanzsektor –kein Freifahrtschein für Banken und Versicherungen!
  5. Umfassender Schutz für die Umwelt –Umweltschutz darf nicht Stückwerk bleiben!
  6. Sorgfalt fürs Klima, konkret und verbindlich –Klimaschutz nicht im Ungefähren lassen!

Ab dem 22.04. wird es eine europaweite Aktionswoche mit Kundgebungen vor Parlamenten oder Firmenzentralen, Infoständen in den Innenstädten usw. geben. Hintergrund für den symbolträchtigen Zeitraum ist der Jahrestag des Einsturzes einer Textilfabrik in Bangladesch, der mehr als 1000 Tote forderte.

Weiterführende Informationen rund um das Thema sind hier zu finden:

Kampagne: https://lieferkettengesetz.de/

Material Aktionswoche: https://www.ci-romero.de/produkt-kategorie/initiative-lieferkettengesetz/

Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte: https://wirtschaft-entwicklung.de/wirtschaft-menschenrechte/

KMU Kompass: https://kompass.wirtschaft-entwicklung.de/

BAFA-Handreichungen: https://www.bafa.de/DE/Home/home_node.html

BMZ: https://www.bmz.de/de/themen/lieferkettengesetz

BMAS: https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/gesetz-ueber-die-unternehmerischen-sorgfaltspflichten-in-lieferketten.html

Unser Fachpromotor für Wirtschaft & Entwicklung steht Ihnen gerne beratend zur Seite.

Christopher Isensee
Eine Welt-Fachpromotor „Global verantwortliches Wirtschaften & nachhaltige Beschaffung“
E-Mail: fair-wirtschaften@einewelt-lsa.de
Mobil: +49 176 56928217
Über michIn meiner Arbeit als Eine Welt-Fachpromotor für Wirtschaft und Entwicklung vernetze ich Akteure des nachhaltigen Wirtschaftens in SachsenAnhalt. Ich biete Beratung und Bildung im Bereich sozial-ökonomischer Transformation und identifiziere Best-Practice-Beispiele nachhaltigen Wirtschaftens.