Am 25.08.2022 hatte das EINE WELT Netzwerk Sachsen-Anhalt e. V. (ENSA) die Möglichkeit, im Rahmen
einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Tourismus des Landtages von Sachsen-Anhalt
Stellung zum neuen Tariftreue- und Vergabegesetz zu nehmen.
Weitere anwesende Gäste im Plenarsaal des Landtages waren der Allgemeine Arbeitgeberverband der
Wirtschaft für Sachsen-Anhalt e.V.; der Bauindustrieverband Ost; der DGB Bezirk Niedersachsen,
Bremen, Sachsen-Anhalt, der gemeinsam mit dem Ver.di Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen Stellung bezog; die Industrie- und Handelskammer Magdeburg; die Handwerkskammer
Magdeburg sowie der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt e. V.
Schriftliche Stellungnahmen eingereicht hatten ferner die Lutherstadt Wittenberg, die Stadt Coswig
(Anhalt), das Umweltbundesamt sowie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin.
Leider lagen diese Eingaben dem ENSA nicht zur Einsicht vor.
Das ENSA stellte im Wesentlichen die Forderungen vor, die gemeinsam mit dem Bündnis
Nachhaltigkeit Sachsen-Anhalt (BÜNSA) abgestimmt wurden (vgl. Neuigkeit vom 29.08.2022). Die
wichtigsten Positionen lauteten:
– Schwellenwerte so niedrig wie möglich, aber so hoch wie nötig
– Über soziale und ökologische Minimalstandards hinausgehen
– Effektive Nachweiserbringung sicherstellen
– Lebenszykluskosten explizit nennen
– Regelmäßiges Monitoring gewährleisten
Naturgemäß setzten die geladenen Gäste andere Schwerpunkte im Rahmen ihrer Stellungnahme.
Auch der DGB kritisierte die geplante Erhöhung der Schwellenwerte und die damit verbundene
Verringerung des Anwendungsbereiches des Gesetzes. Die DGB-Landesleiterin Susanne Wiedemeyer
forderte zudem wirksame Kontrollen und eine frühere Evaluierung, während sie mit der Verpflichtung
zur Tariftreue eine zentrale gewerkschaftliche Forderung erfüllt sieht.
Die anderen Anzuhörenden sprachen sich indes mit Verweis auf den bürokratischen Aufwand für eine
Erhöhung von Schwellenwerten aus. Dass dadurch weniger Aufträge unter die Bedingungen des
Landesvergabegesetzes fallen und sich der Gesetzgeber damit seiner Regelungskompetenz zur
Verwirklichung der Vision einer global gerechten und zukunftsfähigen Welt entzieht, wurde hierbei
nicht berücksichtigt. Das ENSA ist sich der enormen finanziellen und personellen Ressourcen, die der
Vergabeprozess sowohl den öffentlichen Auftraggebern als auch den Unternehmen abverlangt,
bewusst und sprach sich daher auch im Rahmen der Anhörung für die Schaffung von
Unterstützungsstrukturen aus.
Öko-soziale Kriterien wurden von den vorsprechenden Gästen zwar als grundsätzlich wichtig
anerkannt, bisweilen jedoch als vergabefremd bezeichnet. Auch auf Nachfrage konnte nicht geklärt
werden, an welcher Stelle derartige Regelungen stattdessen getroffen werden sollten. Da die
öffentliche Hand als wichtigster Nachfrager von Gütern und Dienstleistungen über eine enorme
Marktmacht verfügt, ist das nicht nachvollziehbar. Bereits die europäische Vergaberechtsreform 2014
stellte klar, dass öko-soziale Kriterien zulässiger Bestandteil einer nachhaltigen Beschaffung sein
können. Auch der § 97 (3) des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen macht dies deutlich: „Beider Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte
nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt.“
Weitere Eingaben betrafen die auch vom ENSA positiv aufgenommene Einführung des
Bestbieterprinzips oder auch den Vorschlag, die so genannte Stoffpreisgleitklausel in das Gesetz zu
integrieren sowie die Berücksichtigung der so genannten Mittelstandsklausel.
Die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft und Tourismus des Landtages von Sachsen-Anhalt
nahmen die Stellungnahmen auf und diskutierten die Änderungsanträge der Fraktionen von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN, von DIE LINKE und von der AfD. Während die beiden erstgenannten Anträge
grundsätzlich vom ENSA begrüßt werden, konnte eine Bewertung des AfD-Antrags nicht vorgenommen
werde, da er erst am Tag der Anhörung eingereicht wurde und eine Veröffentlichung bisher nicht
stattfand.
Ergebnis der Beratungen des Ausschusses war, dass der Gesetzesentwurf in der vorliegenden Form bei Ablehnung
aller Änderungsanträge in die mitberatenden Ausschüsse (Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit
und Gleichstellung sowie Ausschuss für Finanzen) verwiesen wurde. In einer der nächsten Sitzungen
wird auch der Ausschuss für Wirtschaft und Tourismus noch einmal zu dem Thema beraten. Vermutlich
im November oder Dezember wird schließlich der gesamte Landtag entscheiden. Das ENSA wird diesen
Prozess weiter kritisch begleiten, denn wir wollen einen Wettbewerb auf Basis von Effizienz, Qualität
und Innovation und nicht auf Basis von Lohndumping sowie der Ausbeutung von Mensch und Natur.