„Wir wollen die öffentlichen Vergabeverfahren vereinfachen, professionalisieren, digitalisieren und beschleunigen. Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen. Wir werden die bestehenden Anforderungen entsprechend des europäischen Vergaberechts im nationalen Vergaberecht präzisieren. Die öffentliche Hand soll sich am Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima- und Umweltkosten beteiligen.“
Aus dem Koalitionsvertrag 2021-2025 „Mehr Fortschritt wagen“ zwischen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen / FDP, Seite 27; Hervorhebung durch das ENSA
Vor diesem Hintergrund lud das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) über den Jahreswechsel 2022/23 zur Öffentlichen Konsultation zur Transformation des Vergaberechts, dem sogenannten Vergabetransformationspaket, ein. Hierdurch sollten öffentliche Auftraggeber ebenso wie betroffenen Unternehmen, Verbände und Organisationen die Gelegenheit erhalten, ihre Einschätzungen und Ideen zur Vergabetransformation frühzeitig und transparent entlang der folgenden fünf Aktionsfeldern einzubringen:
- Stärkung umwelt- und klimafreundlicher Beschaffung
- Stärkung sozial verantwortlicher Beschaffung
- Digitalisierung des Beschaffungswesens
- Vereinfachung und Beschleunigung des Vergabeverfahrens
- Förderung von Mittelstand, Start-Ups, Innovationen
Auch das ENSA hatte sich an diesem Prozess beteiligt; insgesamt gingen über 450 Stellungnahmen beim BMWK ein. Nach deren Auswertung ist nun ein inhaltlicher Austausch mit wie auch zwischen den Stakeholdern vorgesehen, um die eingegangenen Vorschläge zu diskutieren; hierzu soll es insgesamt vier thematische Gesprächsrunden geben.
Am Dienstag, 06.06.2023, fand das virtuelle Eröffnungsplenum dieser Gesprächsrunden statt.
Nachdem BMWK-Staatssekretär Sven Giebold zunächst die Anzahl, Ausführlichkeit und Praktikabilität der eingegangenen Stellungsnahmen ebenso wie die Bandbreite der daran beteiligten Stakeholder anerkennend herausgestellt hatte, präsentierte er die ersten Erkenntnisse aus dem Konsultationsprozess: Grundsätzlich dominieren zwei Hauptanliegen die Diskussion, nämlich der Wunsch nach weniger Bürokratie sowie der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit in öffentlichen Vergabeprozessen – was jedoch zugleich von rund einem Fünftel der Einsendungen als größter Zielkonflikt im aktuellen Transformationsprozess angesehen wird. Um beide Positionen miteinander zu vereinen, sprach Giebold sich für einen Perspektivwechsel aus: Wie könnten sich Nachhaltigkeitsforderungen möglichst einfach in den öffentlichen Vergabeprozess integrieren lassen? Bzw. wie lässt sich der Vergabeprozess vereinfachen, ohne dass die Nachhaltigkeit darunter leidet?
Daran anschließend stellte Giebold die Erkenntnisse aus den einzelnen Aktionsfeldern kurz vor:
Hinsichtlich der Stärkung umwelt- und klimafreundlicher Beschaffung waren die Rückmeldungen ausgesprochen durchwachsen – rund die Hälfte der Einsendungen sprach sich für, rund die Hälfte gegen entsprechende Verpflichtungen aus. Rund ein Drittel sprach sich dafür aus, ökologische Nachhaltigkeitsbestimmungen verpflichtend in Leistungsbeschreibungen aufzunehmen; rund ein Drittel sprach sich für verpflichtende Mindeststandards aus.
Im zweiten Aktionsfeld wurde die Haltung deutlich, dass Kriterien sozialer Verantwortung ganzheitlich, d.h. gemeinsam mit Umwelt- und Klimakriterien, zu betrachten sind. Ansonsten lagen die Prioritäten hier bei der Sicherstellung guter Arbeitsbedingungen und Tariftreue – wobei Giebold auf die parallel stattfindende Reform des Bundestariftreuegesetzes verwies. Weitaus seltener wurden Faktoren wie Geschlechtergerechtigkeit / Gender oder der Umgang mit Sozialunternehmen genannt. Insgesamt stand rund ein Drittel der Einsendungen der Stärkung sozial verantwortlicher Beschaffung im Zuge der Vergabetransformation kritisch gegenüber.
Eine verstärkte Digitalisierung des Beschaffungswesens wurde allgemein begrüßt. Zudem zeigte sich der starke Wunsch nach einer zentralen digitalen Lösung anstelle vieler dezentraler Lösungen.
Eine Vereinfachung und Beschleunigung des Vergabeverfahrens wurde von rund drei Viertel der Einsendungen als oberste Priorität der Vergabetransformation benannt. Denn „eine Vergabe ohne Personal ist keine Vergabe“, wie Griebold sagte, d.h. die Gesetzesregularien müssen am Ende in der Praxis auch umsetzbar sein. Dementsprechend sprachen sich viele Einsendungen für schlankere Verfahren und eine Reduktion der einzureichenden Unterlagen und Nachweise aus. Für Giebold überraschend war der wiederholte Wunsch, die Vergabeverfahren auch über Landesgrenzen hinweg zu vereinheitlichen, was angesichts des Förderalismus allerdings schwierig werden könnte.
Hinsichtlich der Förderung von Mittelstand, Start-Ups und Innovationen zeichnete sich wiederum ein ambivalentes Bild ab – so wurde eine Ausweitung des Losgrundsatzes etwa so oft gefordert wie seine Flexibilisierung.
Anschließend erhielten fünf Organisationen das Wort, die jeweils zu einem der Aktionsfelder kurze Statements vortrugen und dabei die Positionen der Nachhaltigkeitsinitiativen, der Sozialen Dienstleister, der Arbeitgeber:innen, der öffentlichen Auftraggeber:innen bzw. der kleinen und mittelständischen Betriebe und Start-Ups vertraten:
Im Aktionsfeld 1 sprach Thomas Heine von der Initiative „Aktiv für nachhaltige öffentliche Beschaffung“, welche in den vergangenen zehn Monaten rund 100 Unterstützer:innen und 300 Follower sammeln konnte. Er sprach sich für die Sicherstellung einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Verwendung von Steuergeldern im Zuge der aktuellen Vergabetransformation aus und betonte in diesem Zusammenhang, dass diese fünf Ansprüchen gerecht werden sollte:
- Der technisch-innovative Anspruch drücke sich in einer Flexibilisierung des Verwaltungshandelns aus;
- der (intergenerationale) Gerechtigkeitsanspruch verlange eine verantwortungsvolle und nachhaltige Verwendung von Steuermitteln;
- der demokratische Anspruch betone die Notwendigkeit transparenter Verfahren;
- der ökonomische Anspruch verlange nach einer Förderung der Digitalisierung wie auch der Umsetzung der SDG (zwecks Innovationsimpuls-Setzung);
- und der existentielle Anspruch bedürfe schließlich einem Mindset-Wechsel in den Ämtern und Behörden selbst hinzu mehr Nachhaltigkeit, welcher durch Qualifizierungen zu forcieren wäre.
Im Aktionsfeld 2 kritisierte Dr. Gerhard Timm, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, zunächst, dass er das aktuelle Vergaberecht eher als „Wettbewerb um den Markt“ denn als „Wettbewerb im Markt“ empfinde, und sprach sich in diesem Zusammenhang für weniger Exklusivität bei öffentlichen Vertragsbeziehungen aus. Zudem monierte er die Komplexität bei der Bewertung von Zertifikaten u.ä., was seiner Meinung nach das Risiko berge, kleinere Bieter auszuschließen und zu verdrängen. Darüber hinaus verwies er auf die Ortsgebundenheit zahlreicher sozialer Dienstleistungen, die sich in Vergabeverfahren nicht abbilden ließe. Abschließend sprach er sich angesichts der Formulierung der Konsultationsfragen dagegen aus, Sozialunternehmen eine höhere Innovationskraft als anderen Unternehmenstypen zu unterstellen.
Im Aktionsfeld 3 betonte Anja Mundt, Stellvertretende Abteilungsleiterin für Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), dass es aktuell kein Regelungs-, sondern vielmehr ein Anwendungsdefizit in Hinblick auf eine effektive öffentliche Beschaffung gebe. So wären zwar die rechtlichen Möglichkeiten für eine schnelle, unkomplizierte und nachhaltige Beschaffung gegeben, jedoch fehle es oftmals an personellen und technischen Ressourcen sowie Gestaltungswille innerhalb der ausschreibenden Stellen, um diese auch zielführend nutzen zu können. Sie plädiert daher für eine stärkere Ausweitung von Digitalisierung und Standardisierung, und spricht sich in diesem Zusammenhang für die Etablierung einer Online-Plattform aus, die sowohl im Ober- als auch im Unterschwellenbereich für alle Prozesse von Ausschreibungseröffnung bis Vertragsunterzeichnung verpflichtend zu verwenden wäre. Hiervon verspricht sie sich nicht nur eine Beschleunigung des Vergabeprozesses, sondern auch eine Steigerung der Transparenz der Prozesse, wodurch sich zugleich Korruption verhindern ließe. Notwendige Gelingensvoraussetzungen der Vergabetransformation seien daher eine verstärkte Digitalisierung der Vergabeprozesse sowie eine verstärkte Professionalisierung des beteiligten Personals.
Im Aktionsfeld 4 benannte Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund Praktikabilität, Vollziehbarkeit, Rechtssicherheit und Nachprüfbarkeit als die zentralen Anliegen der Kommunen und Gemeinden in Hinblick auf die aktuelle Vergaberechtstransformation. Er sprach sich daher für mehr Flexibilität anstelle von mehr Komplexität bei Vergabeverfahren aus und verwies in diesem Zusammenhang auch auf die zuletzt sinkenden Bieterzahlen. Zudem forderte er einen stärkeren Austausch zwischen den Auftraggebern Bund, Länder und Kommunen sowie die Einrichtung einer einheitlichen Bieterplattform, was jedoch materielle Angleichungen zwischen den verschiedenen Vergaberechten erforderlich machen würde.
Im Aktionsfeld 5 betonte Prof. Dr. Stephan Wernicke, Bereichsleiter Recht der Deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK), dass sich mit zunehmender Komplexität immer weniger kleine und mittelständische Unternehmen, geschweige den Start-Ups, an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. Er monierte daher ebenfalls die Rechtszersplitterung zwischen Bund, Ländern und Kommunen ebenso wie zwischen Ober- und Unterschwelle sowie nach Bau-, Konzessions- und Sektorenauftraggeber; und plädierte daher für die Einführung eines umfassenden Vergabebuches. Darüber hinaus betonte auch er, dass „gutes Recht […] gute Umsetzung“ brauche, es also möglichst einfach, praktikabel und vollziehbar sein sollte. Nachhaltigkeit ließe sich gemäß Wernicke daher am besten durch klare, durchdachte Ausschreibungstexte gewährleisten, was wiederum eine Frage des Knowhows und der Qualifizierung der Ausschreibenden wäre und weniger eine Frage des Rechtstextes.
Die angerissenen Positionen sollen in den kommenden zwei Wochen weiter diskutiert werden. Hierzu veranstaltet das BMWK in den kommenden zwei Wochen die folgenden vier Gesprächsrunden:
- Effiziente Beschaffung
- Vereinfachung und Beschleunigung am 12. Juni von 15:00 – 17:00 Uhr
- Digitalisierung einschl. Rechtsschutz am 13. Juni von 15:00 – 16:30 Uhr
- Strategische Beschaffung
- Nachhaltige öffentliche Beschaffung 15. Juni von 15:00 – 17:00 Uhr
- KMU, Start-Ups und Innovation am 20. Juni von 15:00 – 16:30 Uhr
Eine Anmeldung zu den Gesprächsrunden ist noch bis 09.06.23 unter vergabetransformation@bmwk.bund.de möglich.